Sommerschur bei Hunden mit Unterwolle - "ja" oder "nein"?

Ich kann Ihnen gleich vorweg nehmen, dass man dieses Thema pauschal nicht mit „ja“ oder „nein“ beantworten kann. Es gibt nicht nur „schwarz“ oder „weiß“!

 

KLEINE FELLKUNDE:

 

Das Fell des Hundes besteht grundsätzlich aus 2 Fellarten, 1. dem Deckhaar und 2. der Unterwolle.

 

Das Deckhaar ist eher fest, von schöner Farbe und glänzend. Die Unterwolle ist kürzer, weicher und meist farbloser.

 

Hunde mit „doppeltem Haarkleid“ sind beispielsweise der Golden Retriever, Berner Sennenhund, Neufundländer, Langhaarcollie, nordische Rassen wie Sibirian Huskiy, Alaskan Malamute, Samojede, Spitze...

 

FUNKTIONEN DES FELLS

 

Grundsätzlich dient das Fell eines Hundes dazu, um ihn vor Umwelteinflüssen (Nässe, Kälte, Schmutz...) zu schützen.

Das Haarkleid hat auch die Funktion den Körper zu isolieren und vor Wärmeverlust zu bewahren oder Wärme abzutransportieren – es ist also für die Thermoregulation zuständig.

 

Das Deckhaar schützt die Unterwolle, dass diese nicht nass und schmutzig werden kann und reflektiert die Sonneneinstrahlung. Die Unterwolle wärmt den Organismus und schützt ihn vor Wärmeverlust.

 

VERÄNDERUNG DURCH DIE ZUCHT, SELEKTION, MUTATION

 

Grundsätzlich hatte jeder Hund glänzendes und festeres Deckhaar mit Unterwolle (man denke an den Wolf). Durch Zucht, Selektion, Mutation wurde die Haaranlage von Menschenhand verändert. Der Trend heute geht oft zu üppigem und immer mehr Fell (mehr und längeres Deckhaar, aber auch mehr und üppigere Unterwolle).

 

Viele Rassen haben kein natürliches Haarkleid mehr und damit auch keinen natürlichen Haarwuchszyklus (keinen „saisonalen Fellwechsel“) mehr und „haaren im Frühjahr nicht mehr ab“ so wie noch vor vielen, vielen Jahren. Ein weiterer Grund des fehlenden Fellwechsels ist, dass viele Hunde nicht mehr den Elementen (Kälte, Nässe...) ausgesetzt sind und im Haus leben, sodass kein stark wechselndes Sommer- und Winterfell aufgrund arg schwankender Temperaturen entstehen kann.

 

Die KASTRATION spielt hier ebenfalls eine große Rolle. Diese führt sehr oft bei vielen Rassen zu übermäßigem Fellwachstum. Auch wird das glänzende Deckhaar verdrängt, sodass die Sonneneinstrahlung vom matten Fell nicht mehr gut reflektiert werden kann.

 

WENN DIE FUNKTION GESTÖRT IST...

 

Der Hund kann ein Zuviel an Wärme über die Haut und dann in die Isolationsschicht des Haarkleides abtransportieren. Der Wind, der durch das Deckhaar streift, auch, wenn sich der Hund nur bewegt, und sich somit auch das Haar bewegt, transportiert die Wärme ab.

 

Je dicker und länger das Haarkleid ist, desto weniger ist es möglich die Wärme aus dem Inneren des Körpers abzutransportieren, da die Wärme im Haarkleid auf der Haut verbleibt.

 

Bei kürzerem Fell kann der Wind die Haut besser kühlen und die Wärme kann aus dem Inneren über die Haut in das Haarkleid besser abtransportiert werden.

 

Durch die Veränderung des Fells der Haushunde durch den Menschen ist die Thermoregulation mit immer mehr und immer üppigerem Fell oft nicht mehr möglich.

 

Ist der Hund zu dick, isoliert die Fettschicht ebenfalls und die Wärme kann nicht nach außen dringen – also zu dicke Hunde müssen dringend abspecken, um ihnen im Sommer Erleichterung zu verschaffen;-)

 

PFLEGE

 

Nur ein gepflegtes Haarkleid kann die natürliche Schutzfunktion des Fells unterstützen. Hat ein Hund viel Unterwolle muss diese regelmäßig ausgebürstet und gekämmt werden, um Verfilzungen vorzubeugen. Hier empfehle ich regelmäßiges Baden (alle 2 Monate) mit guten Pflegeprodukten, Blowern (Hochdruckföhn) und das Ausbürsten („Carden“) vom Profi im Hundesalon.

 

AUSNAHMEN

 

Ausnahmen in diesem Artikel stellen stellen rauhaarige Trimmhunde, Spaniels und Setter dar. Diese werden hier nicht angesprochen (diese haben ebenfalls ein doppeltes Haarkleid, sollten jedoch immer getrimmt werden, um auch ihnen Erleichterung bei warmen Temperaturen zu verschaffen!).

 

DER HAARWUCHSZYKLUS

 

Deckhaar und Unterwolle wachsen aus demselben Haarfollikel, haben aber verschiedene Haarwuchszyklen. Diese Zyklen werden von Hormonen, Temperatur, Licht, Ernährung, Stress, der Genetik etc. beeinflusst. Die Haarfollikel sind alle in verschiedenen Haarwuchsstadien. Somit gehen auch normalerweise nicht alle Haare gleichzeitig aus.

 

Die Ruhephase des Haarwachstumszyklus der Deckhaare („Langlebigkeit der Haare“) kann bei manchen Rassen auch 4-5 Jahre andauern, während der Zyklus der Unterwolle bei den meisten Rassen ca. 6 Monate dauert. Bestenfalls wächst dichtere Unterwolle für den Winter, um den Hund warm zu halten, und sie geht im Frühling wieder aus, damit der Hund ein dünneres und luftigeres Haarkleid hat und eine Kühlung im Sommer gut möglich ist („saisonaler Fellwechsel“).

 

Wird der Hund kurz geschoren oder geschnitten (auf 1-2cm) geht der Schutz (gegen Nässe und Kälte) verloren. Ebenfalls kann die Sonneneinstrahlung vom glänzenden Deckhaar nicht mehr reflektiert werden, da dieses nicht mehr in der ursprünglichen Form vorhanden ist. Eine Schur bedeutet immer eine Strukturveränderung des Haarkleides.

 

Eine Schur entbindet das den Hundehalter NICHT von der Pflege. D.h. Unterwolle muss, auch wenn sie kurz ist, entfernt werden, damit das Deckhaar wieder gut nachwachsen kann. Der Hund muss gebürstet werden, um die Haut gut zu durchbluten.

 

GRÜNDE FÜR EINE SCHUR

 

Vorwegzunehmen ist, dass es grundsätzlich egal ist, wie das Haar geschnitten wird, ob mit der Schere oder der Maschine (das Haar ist so oder so „abgeschnitten“). Mit „Scheren“ wird nicht automatisch sehr kurz geschoren, man kann das Fell auch auf beispielsweise 5cm scheren.

 

Die Gründe für eine Schur können sehr vielfältig sein. Fell- und Pflegezustand (Filzschur, Ungezieferbefall...), Gesundheitszustand (Hot Spots, Herzprobleme...), altersbedingte Schur, Erleichterung für den Hund bei zu viel und üppigem Fell etc.

 

RISIKO DER SCHUR

 

Wenn ein Hund mit „doppeltem Haarkleid“ geschoren wird, besteht das Risiko, dass das Deckhaar sehr lange (teils Jahre) zum Nachwachsen braucht oder auch nur fein und wenig oder gar nicht mehr nachwächst. Die Unterwolle wächst oft jedoch weiter. Hier kommt es auf den Haarwuchszyklus an, in dem sich das Haar gerade befindet, wenn es geschoren wird. Es bildet sich dann eine Art flächendeckender „Unterwoll-Filz“, wo nur mehr wenig Luft an die Haut kann.

 

Bei älteren Hunden kommt dies öfter vor, da diese vermehrt medizinische Probleme haben oder der Organismus die „Kraft“ für anderes benötigt, als für das Haarwachstum. Medizinische Probleme werden möglicherweise erst durch das Scheren „sichtbar“, da das Fell nicht mehr oder nur stellenweise nachwächst und man dem dann auf den Grund geht.

 

POST-CLIPPING ALOPECIA

 

(„Post-clipping“ = „nach der Schur“, Alopecia = “Haarlosigkeit”)

 

Die Haarfollikel können durch das kurze Scheren (oder Schneiden) in eine dauerhafte Ruhephase geführt werden - hier wächst das Fell dann nur mehr langsam (nach Jahren) oder gar nicht mehr nach. Dies ist bei Nordischen Rassen, besonders bei Spitzen oft der Fall. Hier sind die Hunde danach, wenn überhaupt, nur mehr mit einem Unterwollflaum bedeckt und es wächst kein Deckhaar mehr nach.

 

Es wird vermutet, dass die Temperaturänderung an der Hautoberfläche (durch das Einkürzen des Fells wird die Temperatur auf der Haut höher) zu einer Änderung (Verminderung) des Blutflusses führt und so für das sehr langsame Wachstum verantwortlich ist.

 

VERÄNDERUNG DES AUSSEHENS

 

Man verändert durch die Schur das Aussehen des Hundes massiv. Wächst das Deckhaar womöglich dann nur mehr langsam nach, sieht der Hund in dieser Zeit wirklich nicht schön aus.

 

Hier ist natürlich ein gut gepflegter Hund, wo abgestorbenes Fell fachgerecht entfernt wurde, und es in seiner vollen Pracht glänzt, wesentlich natürlicher und schöner!

 

„MEIN HUND SCHWITZT“

 

Diese Aussage hören wir Hundefrisörinnen sehr oft, aber ein Hund kann in dem Sinne nicht „schwitzen“. Der wichtigste Wärmeregulator ist jedoch das „Hecheln“ und somit die Verdunstung von Flüssigkeiten (Nasendrüsensekret), neben dem Abtransport der Wärme über die Haut bzw. das Haarkleid.

 

HILFT JETZT EINE SCHUR UM ZU KÜHLEN?

 

Es gibt einige Studien darüber, dass bei verschiedenen Tieren (Pferden, Alpacas, Schafen etc.) durch die Schur die Hitze im Körper deutlich reduziert wird, da weniger Fell als Isolation für die Wärme im Körper vorhanden ist und diese dadurch leichter weichen kann.

 

Viele Hunde leben in unserer heutigen Zeit im Haus, werden als vollwertige Familienmitglieder angesehen und brauchen „nur“ eine kurze Fellschicht (1-2cm), um gegen Umwelteinflüsse und Sonneneinstrahlung geschützt zu sein.

 

Dies sieht bei Arbeits – und Jagdhunden, bei Hunden, welche viel im Freien sind, wiederum anders aus. Diese brauchen mehr Schutz gegen die Sonne, die Kälte, unwirtliches Wetter, stacheliges Unterholz etc. und somit auch mehr Fell.

 

Bei sehr dichtem und langem Fell mit massig Unterwolle, die nicht zu entfernen geht, ist die Gefahr einer Überhitzung sehr wohl gegeben, wenn sich der Hund länger in einer sehr warmen Umgebung ohne viel Bewegung aufhält.

 

Die Gefahr der Überhitzung kann durch Scheren gemindert werden und der Körper des Hundes kann so ein wenig gekühlt werden, da die Hitze besser über die Haut bzw. das Haarkleid weichen kann.

 

Eine Sommer-Schur bei extrem dichten Fell (vor allem bei älteren und kranken Hunden), das durch fachgerechte Pflege nicht zu minimieren ist, verschafft dem Hund sicherlich eine Erleichterung!

 

Wichtig ist, dass vor dem Scheren die abgestorbene Unterwolle entfernt wird und auch der Hund weiterhin gut gebürstet und gecardet wird.

 

KEINE PAUSCHALLÖSUNG

 

Zusammenfassend ist zu sagen, dass es keine passende pauschale Antwort auf die Frage gibt, ob die Sommerschur für diesen oder jenen Hund gut oder schlecht ist!

 

Bei vielen Hunden reicht die regelmäßige fachgerechte Pflege im Salon (Baden, Blowern, Carden), um die überschüssige Unterwolle los zu werden, bei anderen wiederum nicht!

 

Hier müssen Besitzer und HundefrisörIn auf die individuellen Gegebenheiten eingehen und einige Eckpunkte vor der Pflege unbedingt klären um dann - zu einem für den Hund bzw. die Rasse - passenden Ergebnis zu kommen.

 

Zu beachten sind:

 

Rasse/Alter/Krankheiten/Übergewicht/Lebensumstände (Haus oder nur im Freien)/übermäßiger Fellwuchs vorhanden/Kastratenfell/Jagd- oder Arbeitshund/saisonaler Fellwechsel/Aussehen uvm.

 

Kunden berichten von wieder agilen Hunden (vor allem bei älteren Hunden), die geschoren wurden, die vorher keinen Schritt mehr zu viel gemacht haben und nur mehr am kalten Fliesenboden gelegen sind. Nach der Schur sind manche Hunde wieder lebhafter und bewegen sich auch im Sommer wieder mehr.

 

Die Gefahr, dass das Fell nach dem Scheren nicht mehr so schön nachwächst besteht ohne Zweifel, jedoch gilt es abzuwägen was für den Hund in der derzeitigen Lebenssituation mit den dementsprechenden Gegebenheiten besser ist, scheren oder nicht scheren?

Ihre, 

Carmen Schreiner 

 

Bitte lassen Sie niemals einen Spitz (oben am Bild ein Pomeranian) scheren!

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© Hunde- und Katzensalon Carmen Schreiner